Der Anschlag – Stephen King (Hörbuch)


Autor: Stephen King
Sprecher: David Nathan
Länge: 31 Std. 48 Min. (ungekürzt)

Inhaltsbeschreibung von audible.de:
Am 22. November 1963 fielen in Dallas, Texas, drei Schüsse. John F. Kennedy starb, und die Welt veränderte sich für immer. Wenn man das Geschehene ungeschehen machen könnte – wären die Folgen es wert? Jake Epping kann in die Vergangenheit zurückkehren und will den Anschlag verhindern.
Jake Epping lebt ein normales Leben, bis sein Freund Al ihm ein großes Geheimnis enthüllt: Er kennt ein Portal, das ins Jahr 1958 führt. Und Al gewinnt ihn für eine wahnsinnige Mission. Jake soll in die Vergangenheit zurückkehren und das Attentat auf John F. Kennedy vereiteln, um den Gang der Geschichte positiv zu korrigieren. Und so beginnt für Jake ein neues Leben in einer für ihn neuen Welt. Es ist die Welt von Elvis und JFK, von großen amerikanischen Autos und beschwingten Highschool-Tanzveranstaltungen. Es ist die Welt des gequälten Einzelgängers Lee Harvey Oswald, aber auch die der Bibliothekarin Sadie Dunhill, die Jakes große Liebe seines Lebens wird – eines Lebens, das gegen alle normalen Regeln der Zeit verstößt. Und je näher Jake seinem Ziel kommt, den Mord an Kennedy rückgängig zu machen, desto bizarrer wehrt sich die Vergangenheit dagegen – mit aller gnadenlosen Gewalt, die sich auch gegen Jakes neue Liebe richtet…

Zum Hörbuch:
Jake Epping führt seit 35 Jahren ein absolutes Durchschnittsleben. Er lebt in Maine, arbeitet als Erwachsenenlehrer, hat keine Kinder und hat bereits eine gescheiterte Ehe hinter sich, nachdem seine Frau ihr Alkoholproblem nicht in den Griff bekommen hat. Eines Tages ruft ihn jedoch der Besitzer eines kleinen Diners aufgeregt zu sich, da er Jake etwas Wichtiges zeigen müsse. Dieser ist verwundert, schließlich kennt er den Besitzer Al Templeton nur von gelegentlichen Restaurantbesuchen. Noch überraschter ist Jake, als Al plötzlich um Jahre gealtert aussieht und aus dem gestern noch gesunden Mann ein menschliches Wrack geworden ist. Templeton führt den Lehrer dann aber in seine Speisekammer, wo sich ein Portal in die Vergangenheit befindet. Wer dieses Tor durchschreitet, landet unvermittelt im Jahr 1958 – jedes Mal aufs Neue am gleichen Ort und zum gleichen Zeitpunkt.

Der Grund für Als Enthüllung Jake gegenüber findet sich in der persönlichen Zielsetzung des Restaurantinhabers. Schließlich könne man die große Chance einer Zeitreise nicht sinnlos vergeuden und so stellte sich Templeton schnell die Frage, was man in der Vergangenheit mit dem heutigen Wissensstand alles bewirken könnte. Für die Verhinderung der ersten beiden Weltkriege ist es 1958 zu spät, doch nur fünf Jahre voraus liegt ein einschneidendes Ereignis der Weltgeschichte, welches nicht nur die amerikanische Bevölkerung geschockt hat: Die Ermordung des 35. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, John Fitzgerald Kennedy, am 22. November 1963…

Was wäre also, wenn man das Attentat auf Kennedy verhindern könnte? Diese Frage bildet den Aufhänger für Stephen Kings neuesten Roman „Der Anschlag“ (im englischen Originaltitel etwas treffender „11.22.63“), einen Wälzer von über 1000 Seiten und in der Hörbuchfassung mit einer Laufzeit von fast 32 Stunden. Wäre JFK damals nicht ermordet worden, hätte es dann überhaupt den Vietnam-Krieg in diesem entsetzlichen Ausmaß gegeben? Was wäre mit den Rassenunruhen in den USA und der daraus resultierenden Ermordung Martin Luther Kings? Wäre die heutige Welt eine bessere, wenn John F. Kennedy seine Ziele hätte umsetzen können?

Wenn es nach Al Templeton geht, ist die Antwort eindeutig: Die Verhinderung des Kennedy-Attentats würde die Vergangenheit positiv beeinflussen, und so hat es sich der Wirt zur Mission gemacht, diese Tat zu verhindern. Bei seinen Besuchen im Jahr 1958 hat er daher umfassende Recherchen betrieben und den mutmaßlichen Attentäter Lee Harvey Oswald monatelang beschattet. Doch bevor Al den Anschlag hätte verhindern können, erkankte er an Krebs – den 22.11.1963 hätte er nicht mehr erlebt. So weiht er Jake Epping in sein Geheimnis ein, der an seiner Stelle sein Unterfangen fortsetzen soll.

Die Figur des Al Templeton ist bereits zu Beginn der erste geniale Schachzug Stephen Kings. Dadurch spart man sich eine lange Einführung, in der die Hauptfigur Jake Epping mühsam die Gesetzmäßigkeiten des Zeitportals hätte erkunden müssen. Stattdessen erklärt Al auf seinem Sterbebett das Regelwerk: 1. Man landet immer am 9. September 1958 um 11.58 in der Vergangenheit. 2. Kehrt man in die Gegenwart zurück, so sind dort nur zwei Minuten vergangen. 3. Jede Reise in die Vergangenheit setzt alles wieder auf Null zurück. Praktischerweise gibt Templeton dem Lehrer auch noch seine Aufzeichnungen mit auf die Reise, die Jake als Leitfaden dienen und wichtige Stationen im Leben Oswalds beinhalten.

Ist das Konzept erst einmal erklärt beginnt eine Reihe von hochinteressanten Gedankenspielen, bei denen der sogenannte „Schmetterlingseffekt“ eine wichtige Rolle einnimmt. Welche Auswirkungen haben selbst kleinste Eingriffe in die Vergangenheit auf das heutige Leben? Dieser Frage ist der erste Teil des Hörbuches gewidmet, in welchem Jake Epping sozusagen einen Testlauf unternimmt und in die Vergangenheit eines seiner Schüler eingreifen will, der damals bei einer Familientragödie seine Familie verlor und seitdem geistig behindert ist. Dieser Abschnitt dient außerdem dazu, ein Bild des Amerikas der 60er-Jahre zu vermitteln. Dies gelingt dem Autor unwahrscheinlich gut und man fühlt sich selbst in das Jahr 1958 zurückversetzt – selbst wenn man (wie ich) damals noch lange nicht geboren war. King schildert das Setting sehr intensiv, anschaulich und bis ins letzte Detail stimmig. So ist man wie die Hauptfigur erstaunt über die günstigen Preise und wundert sich über das Leben ohne Handys und Computer. Hier zeigt sich auch die große Erzählkunst Kings, denn durch kleine Einfälle lässt er das Zeitreise-Szenario absolut plausibel erscheinen. Sei es Al Templeton, der sein Fleisch günstig in der Vergangenheit kauft und dann in der Gegenwart sein Essen zu Tiefstpreisen anbieten kann oder die Art und Weise, wie Jake Epping seinen Aufenthalt im Jahr 1958 finanziert – nämlich durch Sportwetten, bei denen er dank der Vorarbeit seines Vorgängers auf sämtliche Ergebnisse wichtiger Sportereignisse zwischen 1958 und 1963 zurückgreifen kann.

Ist Jakes Testlauf einmal abgeschlossen, geht es an die eigentliche Aufgabe, nämlich das Attentat auf John F. Kennedy zu verhindern. Dazu muss der Tatverdächtige Oswald beschattet werden und dessen soziale Aktivitäten genau überwacht werden. Da dieser aber einige Jahre in der Sowjetunion verbracht hat, bleibt Jake zudem noch genug Zeit für ein eigenes Leben, schließlich müssen fünf Jahre auch irgendwie zurückgelegt werden. Diese Phase bildet den Mittelteil des Buches, in deren Zentrum vor allem eine bewegende und turbulente Liebesgeschichte steht, welche trotz aller Dramatik aber niemals kitschig wirkt. Allerdings ist dem Autor dieser Abschnitt ein wenig zu lang geraten. So faszinierend die Schilderungen auch sind, gibt es immer wieder Passagen in denen die Handlung stillsteht und nicht wirklich etwas passiert – in diesen Momenten sehnt man sich den finalen Anschlag förmlich herbei.

Einen großen Gewinn zieht das Buch aus den umfangreichen Recherchen Kings, sowohl was das Leben in den 60ern im Allgemeinen aber auch das Leben Lee Harvey Oswalds im Speziellen angeht. Da überrascht es nicht, dass King im Nachwort erzählt, er hätte die Idee zu diesem Roman schon vor 40 Jahren gehabt, damals aber noch nicht die Fähigkeiten gehabt, um seine Vorstellungen zufriedenstellend umzusetzen. Für Fans des Autors dürften auch die vielen Bezüge auf frühere Werke Kings für Begeisterung sorgen. So kommen z.B. die Schauplätze Derry und Castle Rock eingefleischten Anhängern wahrscheinlich bekannt vor – nur zwei von unzähligen Andeutungen auf die eigenen Romane.

Allerdings sollte man aufgrund des Buchtitels und des Klappentextes auf keinen Fall einen Thriller erwarten, denn das ist „Der Anschlag“ definitiv nicht – dafür aber fast alles andere: Historischer Roman, Liebesgeschichte, Drama, Horror (wenn auch nur unterschwellig und in sehr wenigen Momenten), Science-Fiction – fast schon ein Werk epischen Ausmaßes. Mir persönlich fehlt jedoch ein wenig der politische Aspekt des Buches. Natürlich geht King auf einschneidende Ereignisse wie die Kuba-Krise ein, aber Kennedy fungiert hier lediglich als Randfigur und tritt bis zum eigentlichen Attentat kaum in Erscheinung. Auch der Anschlag selbst ist ein wenig ernüchternd: Man fieber fast 30 Stunden lang auf DAS Ereignis hin und dann ist es relativ unspektakulär und schnell vorbei. Als Ende der Geschichte wäre das enttäuschend, doch Stephen King hat danach noch eine faustdicke Überraschung parat, die einen versöhnlichen und überzeugenden Abschluss bildet.

Zum Sprecher:
Wer könnte ein Stephen King besser lesen als – ja, richtig geraten – David Nathan. Wie gewohnt liefert dieser als Erzähler eine geniale Leistung und trägt so viel zum Zauber der Geschichte bei. Ob Jake Epping oder Marina Prussakowa (Ehefrau von Lee Harvey Oswald) – Nathan füllt jede Figur mit Leben, sodass man auch in den etwas zäheren Passagen im Mittelteil immer noch gerne zuhört. Wie gewohnt eine tadellose Vorstellung, die immer wieder neue Vorfreude auf kommende Stephen King-Hörbücher weckt.

Mein Fazit:
Stephen Kings „Der Anschlag“ ist ein großes und großartiges Buch. Es steckt so viel Leben in den 32 Stunden, dass man förmlich in die Geschichte von Jake Epping hineingezogen wird. Die Idee, in die Zeit zurückzureisen um das Kennedy-Attentat zu verhindern, ist genial und wird vom Autor auch absolut glaubwürdig umgesetzt. Umfassende Recherche und viel Liebe zum Detail sorgen dafür, dass man nie Zweifel an Kings Alternativ-Szenario hat und die Zeitreise einem als Hörer völlig selbstverständlich vorkommt. Zudem stellt King eine sympathische Hauptfigur in den Mittelpunkt seiner Story, sodass die Identifikation mit Jake Epping sehr leicht fällt. Allerdings trüben einige Längen im Mittelteil das Hörvergnügen ein wenig, zudem fällt das groß erwartete Attentat dann leider etwas zu nüchtern aus. Überdies dreht sich die ganze Geschichte nur um die Theorie, nach welcher Oswald ein Alleintäter war. Das hat einerseits den Vorteil, dass der Autor sich nicht in wirren Verschwörungstheorien verrennt, ist aber mir persönlich zu einseitig. Um so faszinierender sind die Gedankenspiele rund um den Schmetterlingseffekt und die vielen „Was wäre wenn…“-Momente. Diesen Passagen hätte ich stundenlang zuhören können, ohne dass es langweilig wird, immer getreu nach dem Leitmotiv des Buches „Die Vergangenheit ist halsstarrig, sie will nicht geändert werden“. Insgesamt ergibt sich so ein für Stephen King ungewöhnliches, aber nichtsdestotrotz mitreißendes Gesamtpaket, welches vermutlich noch etwas länger nachwirken wird. Trotz der oben aufgeführten Schwächen lasse ich mich daher zu einer recht hohen Bewertung hinreißen, denn „Der Anschlag“ hat mich während der gesamten Laufzeit – auch in ruhigeren Passagen – immer in seinen Bann gezogen.

Meine Wertung: 9/10

Informationen:
Das Hörbuch „Der Anschlag“ von Stephen King hat eine Länge von 31 Stunden und 48 Minuten und ist ungekürzt für 29,95 € bei audible.de erhältlich. Flexi-Abonnenten zahlen wie gewohnt nur 9,95 €. Weitere Informationen gibt es auf der Detail-Seite bei audible.de.

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